Rudolf Kämmer



In der sich ergänzenden Dialektik von Natur als sinnlich wahrnehmbare Größe als auch in ihrer durch den bloßen Akt des Denkens vollzogenen Gegenwärtigkeit bewegt sich das Schaffen des Malers und Graphikers Rudolf Kämmer. Hierbei ist dessen systematisches Eruieren einer Idee und ihrer konsequenten Umsetzung in visuelle Wahrnehmbarkeit gemeint. Der Absolutheit der Idee begegnet Kämmer mit der Verwendung absoluter Formen, die nur die Eindeutigkeit der Geometrie bieten kann. Mit kalkulierter Strenge entwirft und fertigt Kämmer seine Farbreliefs, Drehstegbilder, lichtkinetischen Objekte, Kippklappbilder oder linearen Punktgefüge, um sie schliesslich in ihrer Vervollkommnung dem untersuchenden Spiel ihres neugierigen Betrachters zu überantworten. Kämmers Werke laden den Schauenden zur Erkundung vielfältiger Wahrnehmungsphänomene ein, wie etwa der Intensivierung und dem Verblassen von Farbe, der Progressions- und Regressionsweisen von Strukturen oder der Wirkung von wechselnden Kumulationen unterschiedlicher Farbsphären.

Sich orientierend an den Begründern abstrakter, geometrischer Kunst der klassischen Moderne, etwa der Bewegungen des Bauhauses oder des Konstruktivismus und Suprematismus zählt Kämmer, wie zum Beispiel auch Gerhard von Graevenitz, Almir Mavignier, François Morellet, Bridget Riley oder Günther Uecker, zu jenen Vertretern der „Nouvelle Tendance“, einer jungen Künstlergeneration der 1960er Jahre, die Neuem gegenüber aufgeschlossen, demokratisch gesinnt und wissenschaftsgläubig mit den Mystifikationen des aus ihrer Sicht alten Kunstbegriffs vom gottähnlichen Genie endgültig brechen wollten, um vielmehr muliplizierbare Ergebnisse einer methodisch-konstruktiven, konkreten Kunst zu erreichen. Diese international breit angelegte Bewegung mit ihren zahlreichen Ausstellungen von Zagreb bis New York war für die damalige ideologisch tief gespaltene Welt zwischen Ost und West ein sensationelles Novum. Mit den neuen Tendenzen sollte eine recherche continuelle, also eine nie endende und sich stets weiterentwickelnde Befreiungsbewegung der Kunst realisiert und fortgeschrieben werden. Die in den 1970er Jahren unter der Bezeichnung Op-Art hervortretende Kunst, zu deren Hauptvertretern Victor Vasarely zählt, wird vielfach als Folgeerscheinung der Neuen Tendenzen angesehen.In dieser Tradition darf auch das sich bis auf den heutigen Tag stets erneuernde Werk Rudolf Kämmers gesehen werden.

Ulrich Haussmann, Berlin













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